Wanderratte

In Züchtungsexperimenten konnte bei Wanderratten eine dominante autosomale Warfarinresistenz auf Chromosom 1 bestimmt werden. In Großbritannien, Dänemark, Deutschland und den USA wurden mehrere geographisch unterschiedliche resistente Stämme nach Herkunft und Resistenzeigenschaften beschrieben. Diese wurden ursprünglich als Scottish-, Welsh-, Hampshire-, Münsterland/Westfalen-, Jutland- und Chicago-Typ-Resistenzen bezeichnet, womit verschiedene Resistenzallele bei geographisch unterschiedlichen Wanderrattenpopulationen zugeordnet wurden. Dies wurde später durch den Nachweis des Gens Vitamin-K-Epoxid-Reduktase-Komplex-Untereinheit 1 (VKORC1) bestätigt, einem Gen, das eine Antikoagulans-empfindliche Komponente des VKOR kodiert. Sequenzvarianten, die zu Aminosäuresubstitutionen führen, wurden in diesem Gen sowohl bei Ratten als auch bei Hausmäusen entdeckt. Eine Reihe von regionalspezifischen Sequenzvarianten entwickelten sich in diesem Gen unabhängig voneinander, wobei jeweils eine bestimmte Resistenz gegen Antikoagulanzien vermittelt wird. Unter den Varianten mit bestätigtem Einfluss auf den Resistenzstatus sind Mutationen an Aminosäureposition 139 des Gens am häufigsten.

Die am weitesten verbreiteten Varianten bei Wanderratten mit nachgewiesener Auswirkung auf Warfarin und mindestens einigen anderen Antikoagulanzien sind:

Tyr139Cys (Y139C) : vorherrschend in Dänemark und Deutschland und bisher in Teilen der Azoren, Frankreichs, Ungarns, der Niederlande und mehreren Teilen Großbritanniens entdeckt.

Tyr139Phe (Y139F) : vorherrschend in Frankreich und Belgien und auch in den Niederlanden, in Großbritannien sowie außerhalb Europas in Südkorea entdeckt..

Tyr139Ser (Y139S) : „walisische Resistenz“, ist nur aus Wales bekannt.

Leu120Gln (L120Q) : bekannt in Großbritannien in Hampshire und Berkshire und jetzt verbreitet im Süden Englands, wurde auch an einigen Orten in Frankreich und in Belgien entdeckt.

Leu128Gln (L128Q) : Die Mutation, durch die „schottische Resistenz“ vermittelt wird, wurde in Schottland, Nordengland und an einigen Orten in Zentralfrankreich entdeckt.

Arg35Pro (R35P) : kennzeichnet die Chicago-Typ-Resistenz, wurde bei Ratten in der Gegend von Chicago/USA und in Europa an einem Ort in Zentralfrankreich entdeckt. Die biologische Funktion dieses Polymorphismus bleibt unklar.

Abbildung 2. Verbreitung antikoagulansresistenter Stämme der Wanderratte in Europa. Die schattierten Bereiche sollen die ungefähren Gebite der verschiedenen Resistenzmutationen in Europa und nicht deren exakten Verbreitung kennzeichnen. Daten aus einer Reihe von veröffentlichten Quellen. Weitere Informationen zur Verbreitung von Resistenzen in einigen Ländern finden Sie in Kapitel 15.


Ergebnisse von Labor- und Feldstudien zeigen, dass die meisten genetischen Resistenzvarianten zu  Resistenz gegen Antikoagulanzien der ersten Generation führen. Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNP) an VKORC1-Positiond 139 beeinträchtigen insbesonder die Wirksamkeit von Bromadiolon und Difenacoum (außer bei Tyr139Ser, bei dem diese Beeinträchtigung für ein praktisches Behandlungsversagen nicht ausreicht). Bei der Wanderratte Rattus norvegicus gibt es derzeit keine Hinweise darauf, dass sie gegen die hochpotenten Wirksttoffe Brodifacoum, Difethialon oder Flocoumafen resistent sein könnten.

Der biochemische Mechanismus der Antikoagulansresistenz wurde bei Stämmen/VKORC1-Varianten der Wanderratte an verschiedeneren Orten untersucht. Aminosäuresubstitutionen im VKOR scheinen die Struktur und Funktion des Enzyms zu verändern, was je nach Stamm zu einer verringerten Empfindlichkeit für die Hemmung des Enzyms durch bestimmte Antikoagulantien führt. Studien zeigten, dass Sequenzvarianten z.B. bei Tyr139 die Empfindlichkeit gegen Warfarin in unterschiedlichem Ausmaß verändern, während sie an anderen Positionen die VKOR-Aktivität kaum reduzieren. Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass diese Sequenzvarianten zusätzlich zu strukturellen Veränderungen im VKOR-Protein auch kompensatorische Mechanismen zur Aufrechterhaltung der Blutgerinnung induzieren könnten.

Die Antikoagulansresistenz kann von nachteiligen physiologischen Effekten, wie einem erhöhten Bedarf an Vitamin K oder der Förderung von Arterienverkalkung, begleitet sein. Solche physiologischen Fitnesskosten, die normalerweise das Auftreten von Resistenzen bei Nagerpopulationen in Abwesenheit einer Antikoagulans-Selektion verringern würden, können durch eine Vitamin K-reiche Ernährung kompensiert werden, wie sie in Tierfutter gefunden wird, dem häufig Vitamin K 3 zugesetzt wird.

Die Vitamin-K-Mengen, die von Natur aus in der Nahrung vorkommen, sind zu niedrig, um als Gegenmittel zu Antikoagulanzien zu wirken.

Tabelle 2: Drei der wichtigsten Polymorphismen im VKOR, die auf Basis von BCR-Daten erwiesenermaßen bei Wanderratten (Rattus norvegicus) Resistenzen gegen Antikoagulanzien mit bestimmten Resistenzfaktoren bei männlichen und weiblichen Ratten induzieren. Zudem sind die ED50 -Werte für männlichen und weibliche Tiere in mg/kg des Körpergewichts des empfindlichen Ausgangsstamms angegeben. Die Daten in dieser Tabelle sind das Ergebnis einer vom RRAC finanzierten Arbeit, die von Dr. C. Prescott und Herrn D. Rymer (Universität von Reading, Großbritannien) und Dr. A. Esther (Julius Kühn Institut, Deutschland) durchgeführt wurde.


VKOR Resistenzfaktoren bei männlichen/weiblichen homozygoten Ratten
Empfindliche Stämme ED50: (männlich/weiblich) Bromadiolon Difenacoum Brodifacoum Flocoumafen Difethialon
0,47 / 0,62 0,65 / 0,79 0,22 / 0,23 0,29 / 0,34 0,43 / 0,49
L120Q 10 / 14 4,8 / 12 2,8 / 6,7 2,5 / 3,2 2,2 / 2,3
Y139C 17 / 15 1,6 / 2,9 1,2 / 1,8 0,8 / 1,0 0,5 / 0,8
Y139F 7 / 9 1,4 / 1,9 1,3 / 1,3 1,0 / 1,0 0,9 / 0,8

Tabelle 4: Für die Bekämpfung der durch den jeweiligen Polymorphismus in der VKOR gekennzeichneten Stämme der Wanderratte (Rattus norvegicus) empfohlene Wirkstoffe (+), auf Grundlage von BCR-Daten und Feldversuchen. Produkte, die mit (-) markierte Rodentizide enthalten, dürfen nicht für die Bekämpfung der jeweiligen Stämme eingesetzt werden.


VKOR Für die Bekämpfung empfohlener (+) und nicht empfohlener (-) Wirkstoff
Stamm Antikoagulanzien der ersten Generation Bromadiolon Difenacoum Brodifacoum Flocoumafen Difethialon
L120Q - - - + + +
L128Q - - + + + +
Y139C - - - + + +
Y139F - - + + + +
Y139S - + + + + +
0